Der Hirtenjunge

3. Dez Der Hirtenjunge

Der Hirtenjunge PDF

Die Welt war dunkel, denn es wurde Nacht.
Der kleine Engel zitterte vor Kälte. Er war sehr froh, dass der Esel bei ihm war. Sonst hätte er sich vielleicht gefürchtet.
»Wohin reiten wir?«, fragte er.
»Wenn es dunkel wird, zünden die Hirten ihre Lagerfeuer an. Dort ist es warm und gemütlich.«
Hatschi wunderte sich. Bisher hatte er geglaubt, dass es Feuer nur in der Hölle gäbe.
Es dauerte nicht lange, da tauchte in der Ferne ein winziges Licht auf. Es wurde größer und größer, bewegte sich und flackerte. Neben dem Lagerfeuer hockte ein Hirtenjunge und spielte Flöte.
»Guten Abend«, begrüßte der kleine Engel ihn freundlich.

Der Junge hörte auf zu spielen. »Guten Abend«, sagte er. »Wo kommst denn du her?«
»Vom Himmel«, sagte Hatschi.
Da schüttelte der Hirtenjunge ungläubig den Kopf und lachte.
»Von da kommt niemand. Höchstens der Regen.«
»Und Engel«, belehrte ihn Hatschi.
»Ach ja, jetzt kann ich mich erinnern!« Der Hirtenjunge betrachtete ihn neugierig. »Mein Vater hat auch einmal einen gesehen. Aber der soll groß und prächtig gewesen sein und nicht so klein wie du.«
»Wenn ich erwachsen bin, seh ich genauso aus«, erklärte ihm Hatschi beleidigt.
»Verzeih, wenn ich dich verletzt habe«, sagte der Hirtenjunge. »Komm, setz dich her und iss etwas.« Er schnitt ein großes Stück Brot ab und reichte ihm einen Schafskäse. »Was tut man so den ganzen Tag als kleiner Engel im Himmel?«
»Alles mögliche«, erzählte Hatschi. Er schnäuzte sich die Nase. »Man jubiliert, putzt die Posaunen der Musikengel und spielt Fußball.«
»Fußball!«, rief der Hirtenjunge. »Im Himmel?«
»Ich bin Mittelstürmer«, sagte Hatschi. »Vielleicht hast du mich schon einmal spielen sehen. Wir spielen auf den Wolken.«
Aber der Hirtenjunge hatte ihn nicht gesehen.
Sie unterhielten sich noch lange. Der kleine Engel erzählte vom Himmel und der Hirtenjunge
von der Welt zwischen der Steppe und den Bergen.
»Heute ist mir ein Schaf verloren gegangen«, berichtete er traurig. »Es war mein liebstes.«
»Dann helf ich dir morgen beim Suchen«, versprach ihm Hatschi.
Am nächsten Morgen begleiteten der kleine Engel und der Esel den Hirtenjungen.
Als Erstes begegneten sie einer Schlange. »Hast du ein Schaf gesehen?«, fragte Hatschi sie.
Die Schlange war noch steif von der Nacht. Sie rollte sich langsam auseinander. »Ich habe schon viele Schafe gesehen«, zischte sie ungnädig.
»Wir suchen nur eines. Es ist das liebste«, sagte Hatschi. Doch da war sie schon davongeschlängelt.
»Kannst du mit Schlangen reden?«, fragte der Hirtenjunge verwundert.
»Nicht nur mit Schlangen«, sagte der kleine Engel.
Als Nächstes kamen sie an einen uralten Baum.
»Wir suchen ein Schaf. Hast du eines gesehen?«
»Gestern schlief es unter meinen Ästen«, raschelten die Zweige. »Aber dann hörte es eine Flöte und sprang davon.«
Sie gingen weiter.
Nach einer Weile sahen sie einen Geier auf einem Felsen sitzen.
»Ein Geier bedeutet nichts Gutes«, flüsterte der Hirtenjunge. »Da müssen wir vorsichtig sein.«
Der kleine Engel nickte und war vorsichtig.
»Auf was wartest du?«, fragte er den Geier.
»Auf ein kleines Schaf«, antwortete der Geier, der zwar groß, aber ziemlich dumm war. »Es liegt dort unten hinter einem Stein, hat sich den Fuß verknackst und kann nicht mehr laufen. Bald wird es eine gute Mahlzeit für mich abgeben.«
Da rannte der Hirtenjunge zu dem Stein und freute sich, als er wirklich sein Schaf dort fand. Er legte es auf den Esel und brachte es zu seinem Lager, um es wieder gesund zu pflegen.
»Ich muss jetzt weiterreiten«, sagte Hatschi zu ihm. »Aber in einundzwanzig Tagen, wenn das Christkind Geburtstag feiert, kommst du doch hoffentlich und feierst mit?«
»Gern.« Der Hirtenjunge freute sich. »Dann bringe ich ihm ein Bündel Wolle mit, damit es nicht zu frieren braucht.«
Der kleine Engel beschrieb ihm noch schnell den Weg. Dann stieg er auf den Rücken des Esels und ritt davon.

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