Das Rotkehlchen

rotkehlchenDas Rotkehlchen

Es schneite wieder.

Der kleine Engel und der Esel waren weit herumgekommen. Sie waren im Norden gewesen und im Süden, im Osten und im Westen. Hatschi hatte jeden, der ihm begegnet war und der mit ihm gesprochen hatte, eingeladen.

Jetzt war er müde. Vor ihm auf dem Esel saß die Puppe, Noahs Taube hockte wie immer auf seiner Schulter und die Maus auf seinem Kopf. Ab und zu nickte Hatschi ein. Dann schrie die Maus Zeter und Mordio, weil sein Kopf nach vorne fiel und sie Angst hatte abzustürzen. Daraufhin pickte ihn Noahs Taube schnell ins Ohrläppchen, um ihn aufzuwecken.

»T-tut mir Leid«, stotterte Hatschi dann erschrocken. »Ich muss wohl eingeschlafen sein.«

Sie waren dem großen Stern schon ziemlich nahe gekommen.

Ab und zu flog Noahs Taube los, um auszukundschaften, wie weit es noch war.

»Dieser Tag und diese Nacht und noch ein Tag«, meldete sie, und beim nächsten Mal: »Es ist nicht mehr weit. Die Sonne muss nur noch einmal untergehen.«

Doch dem müden kleinen Engel erschien es, als käme er nie an sein Ziel.

Es war die Zeit, in der das Wild nur wenig Futter fand. Die Rehe scharrten den Boden auf, um ein bisschen Gras zu knabbern. Die Füchse hatten sich schlafen gelegt und die Vögel flogen überall herum, um hier und da ein Korn zu finden. Aber sie fanden nur selten eines. Der Winterwind hatte den Schnee aufgewirbelt und auf die Äste geblasen. Sie ächzten unter der Last, und manche brachen ab.

Während der kleine Engel so durch den Wald ritt, flatterte plötzlich ein kleines Vögelchen vor ihm her.

»Darf ich mich ein bisschen zwischen deinen Ohren ausruhen?«, bat es den Esel. »Es gibt so wenig schneefreie Plätze im Augenblick.«

Der Esel hatte nichts dagegen.

»Was tut ihr so tief im Wald?«, fragte das Vögelchen den kleinen Engel, nachdem es sich niedergelassen hatte. Es war braun und hatte eine rote Kehle.

»Wir sind auf dem Weg zum Christkind«, antwortete Hatschi. »Willst du uns begleiten? Morgen ist Weihnachten. Da wollen wir bei ihm sein.«

»Aber gern«, piepste das Vögelchen und wippte auf und ab. »Gibt’s dort was zu picken? Ich bin nämlich ganz schwach vor lauter Hunger.«

»Ein Weizenkorn haben wir dabei«, sagte Hatschi. »Aber es gehört der Maus. Sie will es dem Christkind zum Geburtstag schenken.«

Die Maus schob ihr Korn schnell auf die andere Backenseite.

»Das macht nichts. Bis morgen halte ich es schon noch aus«, piepste das Rotkehlchen. »Aber muss man da etwas mitbringen?«

»Eigentlich schon«, erklärte ihm der kleine Engel. »Noahs Taube bringt ihm eine Schwanzfeder mit. Der Esel lässt es reiten, sooft es will, und die Puppe hat sich vorgenommen immer fröhlich zu sein.«

»Und was bringst du mit?«, fragte das Rotkehlchen.

Da erschrak Hatschi. Er hatte nichts. Er kam mit leeren Händen. »Vielleicht können wir etwas gemeinsam schenken. Das ginge dann in einem«, schlug ihm das Rotkehlchen vor.

»Das war‘ schon gut«, sagte der kleine Engel. »Aber was?«

»Wie war’s mit einem Blumenstrauß?«, rief die Puppe.

»Außer Eisblumen gibt’s keine Blumen um diese Zeit«, gurrte Noahs Taube. »Und einen Eisblumenstrauß kann man nicht pflücken.«

»Aber etwas Grünes müsste es schon sein«, sagte der Esel. Er dachte an grüne Sommerwiesen, saftiges Gras und Birkenblätter im Frühling.

»Woher sollen wir hier etwas Grünes nehmen?«, fragte die Maus.

»Ein Tannenzweig ist immer grün«, piepste das Rotkehlchen und plusterte sich auf.

»Aber ein Tannenzweig ist zu wenig«, fand der kleine Engel.

»Zu wenig?«, rief die Maus.

»Zu wenig!«, gurrte Noahs Taube.

Die Puppe sagte gar nichts. Sie fand bunte Blumen sowieso viel hübscher.

In diesem Augenblick kamen sie an einer umgeknickten kleinen Tanne vorbei.

»Die ist richtig. Die nehmen wir«, sagte Hatschi.

Da nahmen sie die Tanne mit.

In dieser Nacht schliefen sie alle eng aneinander gekuschelt in einer Höhle. Der kleine Engel und der Esel, Noahs Taube, die Puppe, die Maus und natürlich das Rotkehlchen.

Und alle träumten von Weihnachten und davon, wie sehr sie sich darauf freuten. Über ihnen am Himmel stand der große Stern und bewachte ihren Schlaf.

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