Noas Taube

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Noahs Taube

Das Königsschloss von Rubinistan lag hinter dem nächsten Berg.

»Wollen wir über ihn drüber oder um ihn herum?«, fragte Noahs Taube den kleinen Engel. Für sie war das einfach. Sie konnte fliegen. Hatschi hätte es auch gekonnt, aber seine Flügelchen steckten unter dem Kittel. Nur der Esel hatte keine Möglichkeit, sich in die Luft zu erheben. Doch weil sie alle zusammenbleiben wollten, entschieden sie sich dafür, den Berg zu umgehen.

Aber das war weiter, als sie gedacht hatten. Gegen Mittag schlug der Esel vor eine Pause zu machen. Sie suchten sich einen schattigen Baum aus und ließen sich nieder.

Nach einer Weile wurde es dem kleinen Engel langweilig. »Erzähl uns was von Noah!«, sagte er zu der Taube. »Von ihm und seiner Arche.«

»Was willst du da gerne hören?«, gurrte die Taube. »Etwas über ihren Bau und davon, wie die Tiere verladen wurden, oder etwas von der Zeit, in der sie auf der Sintflut schwamm?«

»Wie war es, als Noah dich wegschickte, um nach Land Ausschau zu halten?«, wollte der kleine Engel wissen.

»Ach, das meinst du«, gurrte die Taube. »Das war so: Die Arche war schon lange unterwegs und allmählich ging das Futter für die Tiere und das Brot für die Menschen zu Ende. Da schickte Noah einen Raben auf Kundschaft aus. Er bekam den Auftrag, herauszufinden, ob das Wasser sank. Aber er fand nichts heraus. Auch der zweite Rabe kehrte unverrichteter Dinge wieder zurück. Noah war ganz verzweifelt. Als ihm gar nichts anderes einfiel, schickte er mich.

>Schau, ob du irgendwo Land entdeckst!<, sagte er zu mir. >Und melde mir gleich, wo, damit ich die Arche dorthin steuern kann.< Ich flog also los.

Unter mir tobten die Wellenberge mit weißen Schaumkronen und über mir die Regenwolken. Ich war glücklich, endlich einmal wieder meine Flügel ausbreiten zu können. Deshalb flog ich Kreise, Bögen und Spiralen. Ich schraubte mich hoch in den Himmel, ließ mich wieder fallen und schrie laut vor Freude. Aber meinen Auftrag vergaß ich nicht. Auf einmal blitzte ein Sonnenstrahl auf dem Wasser und gleich darauf dachte ich, da sei ein Berg am Horizont. Aber es war nur eine Wolke. Ich flog und flog und flog. Bald waren meine Flügel müde und ich fürchtete abzustürzen. Da sah ich wieder einen Berg. Und dieses Mal war’s wirklich einer. Er bestand nur aus Kies und Felsen.

Ich ließ mich auf ihm nieder und ruhte mich erst einmal aus. Dann hüpfte ich von Stein zu Stein, um etwas zu finden, das ich Noah mitbringen könnte. Einen Beweis sozusagen. Aber ich fand nur einen alten Knochen, eine alte Glocke und ein paar Tonscherben. Das alles war Abfall aus der Zeit vor der Sintflut. Mir war es als Mitbringsel für Noah nicht gut genug. Deshalb suchte ich weiter.«

»Himmel, muss das mühselig gewesen sein!«, seufzte der kleine Engel.

»Ja«, gurrte die Taube. »Das war es. Ich wollte Noah irgendetwas Frisches mitbringen. Etwas Grünes, einen Grashalm, ein Gänseblümchen oder etwas Ähnliches. Ich flog also weiter und hielt Ausschau. Auf einmal entdeckte ich ein junges Olivenbäumchen. Es hatte frische grüne Blätter und schon so viele Zweige, dass es leicht einen entbehren konnte. Ich pflückte ihn und flatterte zurück übers Meer bis zur Arche. Der alte Noah und seine Familie freuten sich riesig. Ich führte sie zu dem Berg, und nachdem die Arche gelandet war, stiegen alle aus und begannen ein neues Leben.«

»Und was hast du dann gemacht?«, fragte Hatschi. »Ich war mal hier, mal da, hab eine Menge Nester gebaut und Eier ausgebrütet und zuletzt begleitete ich Simsalabim, den Zauberer«, beendete Noahs Taube ihre Geschichte.

»Und was machst du jetzt?«

»Ich würde gern mit euch gehen und dem Christkind gratulieren. Wenn du meinst, dass eine Schwanzfeder von mir ein Geschenk wäre, das es freut?«

»Aber sicher«, sagte der kleine Engel. »Dann lasst uns jetzt gehen. Es wird spät!« Er kletterte wieder auf den Rücken des Esels und sie wanderten weiter um den Berg herum, so lange, bis sie das Schloss des Königs von Rubinistan vor sich liegen sahen.

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