Die Maus

img856Die kleine Maus

Von nun an ritt der kleine Engel schnurstracks dem großen Stern entgegen, der über dem Haus stand, in dem das Christkind wohnte.

Deshalb ritt er fast immer nachts, weil die Sterne von der Erde aus nachts besser zu sehen sind.

Nachts begegnen einem weniger Menschen als tags. Da schlafen die meisten. Nachtwächter sind nachts unterwegs, aber nur dort, wo es etwas zu bewachen gibt.

Diebe sind meistens auch nur nachts unterwegs, aber sie verstecken sich gern, weil sie ein schlechtes Gewissen haben. Eulen sind nachts unterwegs und natürlich Fledermäuse, Dachse und Katzen.

Als Hatschi müde wurde, ruhte er sich auf einem Stein aus. Der Esel graste neben ihm und Noahs Taube hockte auf einem nahe gelegenen Baum.

Hatschi dachte an dies und das, als ihn plötzlich etwas am Hosenbein zupfte.

»He«, sagte er ein bisschen erschrocken. »Wer ist das?«

»Ich bin’s«, piepste ein feines Stimmchen.

»Wer ist ich?«

»Bloß ich, eine Maus.«

»Warum sagst du >bloß ich<?«, fragte der kleine Engel.

»Weil ich so klein bin«, piepste die Maus.

»Wie klein du bist, kann ich nicht sehen. Dazu ist es zu dunkel«, sagte Hatschi und bückte sich ein wenig. Er sah aber immer noch nichts.

»Gib mir die Hand!«, piepste die Maus. »Dann fühlst du mich.«

Da hielt der kleine Engel die offene Hand auf den Boden und die Maus kletterte hinein. Hatschi spürte vier kleine Füßchen auf seiner Handfläche, eine spitze Nase, einen langen Schwanz und einen samtigen Pelz.

»Bist du das?«, fragte er das Etwas auf seiner Hand.

»Ja, das bin ich«, bestätigte die Maus.

»Was willst du von mir?«

»Irgendjemand hat mir erzählt, dass du Einladungen verteilst. Einladungen zu einem Geburtstagsfest.«

»Das stimmt«, sagte der kleine Engel. »Willst du auch eine?«

»Ich kann nicht kommen.«

»Warum nicht?«

»Dazu bin ich viel zu klein.«

»Kleine Gäste sind ebenso willkommen wie große«, sagte Hatschi. Er hob die Hand ein wenig hoch, um die Maus betrachten zu können, aber im fahlen Mondlicht erkannte er nur ihre Umrisse.

»Aber ich hätte nur ein ganz kleines Geschenk«, piepste die Maus.

»Das Christkind bewertet die Geschenke nicht nach ihrer Größe«, erklärte ihr der kleine Engel, »sondern nur danach, ob sie von Herzen kommen oder nicht.«

»Mein Geschenk kommt von einem Kornfeld«, sagte die Maus. »Es ist ein Weizenkorn. Ich würde es ja am liebsten selbst fressen, aber dem Christkind gebe ich es gern.«

»Wenn es dir schwer fällt, dann gibst du es von Herzen«, sagte der kleine Engel.

»Dann darf ich kommen?«, fragte die Maus.

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»Freilich«, sagte Hatschi.

»Aber wie schaffe ich das bis in vier Tagen?«

Da überlegte Hatschi nicht lange. Er bot ihr an gleich mit ihm zu kommen. Und weil er in seiner Jacke nur eine kleine Tasche hatte und darin sein Taschentuch war, setzte er sich die Maus auf den Kopf. Mitten zwischen seine Locken setzte er sie.

Da war sie glücklich.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie die Welt von so hoch oben gesehen. Sie fühlte sich gar nicht mehr klein. Und wenn sie in Versuchung kam das Weizenkorn in ihrer Backentasche herunterzuschlucken, dachte sie an Hatschis Worte. Je schwerer es ihr fiel, es nicht zu tun, um so mehr würde dieses Geschenk von Herzen kommen. Dann schob sie es mit ihrer Mause-zunge auf die andere Backenseite und freute sich auf Weihnachten.

In dieser Nacht kamen der kleine Engel, der Esel und Noahs Taube dem großen Stern ein gutes Stück näher. Und die kleine Maus natürlich auch.

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