Eine Mauer ohne Geschichte

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Eine Mauer in Trümmern bat mich, ihre Geschichte zu schreiben.

Was könnte man über eine moosigen und mit Efeu beschichteten Wand erzählen, die am Rande eines selten benutzten Weges steht?

An einem Ende der Mauer steht ein Steinbogen, der die Benutzung einer jetzt nicht mehr vorhandenen Tür oder eines alten Tors vermuten lässt. Am anderen Ende markiert ein aufrechter Stein die Ecke, in der nur ein paar lose Steine von der ehemaligen Existenz eines Teils eines Hauses zeugen.

Ja, die Mauer gehörte zu einem Haus, einem großen Haus, einem Palast, sozusagen.

Wer es einrichten ließ, hatte Ambitionen.

»Ich will, dass mein Haus dem eines Königs ähnelt«, sagte er.

Und er ließ Gehilfen aus der Stadt kommen, um den Bau zu unterstützen. Ochsenkarren transportierten, qualvoll, riesige Steine aus fernen Gebirgen.

Maurer zerschlugen die großen Steine in kleine Stücken und fingen an, die Mauern damit zu errichten.

Der Mann, der genau dort Mitten im Nichts, ein Hause wie das eines Königs bauen wollte, kam oft, um die Arbeit zu kontrollieren. Er schrie die Arbeiter an und stritt mit dem Aufseher. Er verlangte Geschwindigkeit und Perfektion.

Er hatte die Straße zu diesem Ort anfertigen lassen. Er hatte einen Brunnen gegraben, der das Wasser in die künftigen Gärten des Hauses bringen sollte. Nur das Haus musste fertig gebaut werden, um es mit einem Fest voller Freunde, Musik und Feuerwerk eröffnen zu können.

Die Arbeit wurde jedoch verzögert. Es könnte auch die Schuld des Herrn sein, der manchmal einige Dinge einmal so und dann einmal anders wollte. Ein Turm links am Eingang würde doch besser rechts stehen.

Wo der Salon zuerst sein sollte, wäre doch die Küche am besten, oder vielleicht wäre es sogar besser, die Wände der Zimmer niederzureißen, um den Salon zu vergrößern… Es wurde errichtet, niedergerißen.

Der Leiter der Arbeit war völlig verwirrt.

»Der Mann muss verrückt sein«, flüsterte er. »Er verschwendet ein Vermögen, das Haus wird aber nie fertig.«

Und genau das passierte. Wegen immer später bezahltem Gehalt, verließen die Arbeiter die Baustelle.

Mit der Zeit Brombersträuche und Gebüsch bedeckten die Wände. Viele Jahre vergingen. Regen, Überschwemmungen, Stürme zerstörten das, was noch von dem unfertigen Haus übrig war.

Die mit Moos und Efeu bedekte Mauer überstand.

»Erzähl meine Geschichte«, flehte sie an.

Aber wie konnte ich die Geschichte einer Mauer erzählen?

Mauern, Wände und Ruinen haben keine Geschichte.

Oder… vielleicht doch?

A. Torrado

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